4 Fragen, 4 Antworten: Uwe Lübbermann, Premium-Cola
Autor: Sascha Nieroba || Datum: 23. Oktober 2014 || Thema: [Responsive] Branding
Wissen hat ja zum Beispiel den Charme, dass es nicht weniger wird vom Teilen, sondern mehr.Uwe: Ja. Ach so, soll ich länger antworten? Ich behaupte, es bleibt sogar mehr. Wissen hat ja zum Beispiel den Charme, dass es nicht weniger wird vom Teilen, sondern mehr. Und wenn ich dran denke, wie viel Wissen auch deshalb schon mit mir geteilt wurde, hui. Genauso ist es beim Teilen von Ressourcen: Gib einem anderen Hersteller Leergut ab in Zeiten seiner Krise, dann hast du eine kleine Versicherung für den Fall deiner nächsten Krise. Mach das mit vielen, und du bist vielfach abgesichert. Menschlich gilt das sowieso. Ich will außerdem gar nicht in einer (Wirtschafts-)Welt leben, in der jeder nur an sich selber denkt. Dann ist nämlich noch lange nicht an alle gedacht. Stattdessen glaube ich daran, dass es für alle angenehmer und stressfreier wird, wenn alle ein bisschen an alle denken, oder ein bisschen mehr. Ich selbst hab mir dadurch sowas wie eine Parallelwelt gebaut, in der für mich zwar viel zu tun ist, aber ganz wenig negativer Stress, sehr wenig Fluktuation, wenig Streit, nicht ein Rechtsstreit in bald 13 Jahren, einfach eine viel menschlichere Arbeits- und Lebenswelt. Das haben wir geschafft. Dennoch ist unser Projekt bisher nicht sehr bekannt, unter anderem weil wir keine Werbung machen. Das Prinzip „Premium“ erklärt in fünf Minuten: Im SZ-Magazin sagte im letzten Jahr DDB-Kreativchef Amir Kassaei, der vor allem bekannt für seine, sagen wir, sehr offene Art ist: „Während die ganze Welt über Nachhaltigkeit nachdenkt, sind Werber die Letzten, die lauthals Propaganda für hemmungslose Konsumgier machen.“ Dein Werbebudget ist überschaubar: Du hast keins. Trotzdem funktioniert dein Unternehmen. Wieso – oder anders: Müssen Werber vor deinem Geschäftsmodell erzittern? Uwe: Auwei, wie beantworte ich das? Wer Douglas Adams kennt, Per Anhalter durch die Galaxis, erinnert sich eventuell daran, dass da ein Raumschiff zur Evakuierung der Erde losgeschickt wurde mit allen möglichen Leuten: Telefondesinfizierer, Bürokraten und, ja, Marketingleute. Nachher kam dann raus, dass man denen die Evakuierung nur vorgegaukelt hatte, um sie alle miteinander endlich loszuwerden.
Aber diese ganze Push-Werbeindustrie, weg damit, ersatzlos.Tja. Ich glaube wirklich, dass sich die (Werbe)Wirtschaft leider in großen Teilen komplett von dem entfernt hat, was Menschen eigentlich brauchen und wollen. Grob vereinfacht ausgedrückt, zahlen Kunden mehr für Produkte als eigentlich nötig, und von diesem Zuviel wird Werbung bezahlt, die die Kunden in der Regel nur nervt. Darüber hinaus weckt Werbung Bedürfnisse, wo vorher gar keine waren, prägt Geschlechter- und Rollenbilder, die man eventuell so gar nicht haben will, spamt das Internet und ganze Städte voll und so weiter. Meiner Meinung nach eine total wild gewordene Parallelwelt ganz anderer Art. Bei Vorträgen frage ich öfter in die Runde, wer Werbung mag. Maximal ein, zwei Finger. Oder wer Werbung braucht. In aller Regel kein Finger, und wenn, dann arbeitet der Mensch daran in der Werbung. Von so jemand kommt dann auch das Killer-Argument: aber mein Arbeitsplatz! Ja, klar. Deshalb haben wir heute noch Schriftsetzer, Laternen-Anzünder und Glasbläser. Bei allem Respekt, was wir wirklich brauchen, ist keine Push-Kommunikation, die sich immer perfider aufdrängt, sondern vielmehr Pull-Kommunikation, die sich die Menschen freiwillig ziehen. Dafür darf auch ein kleiner Teil im Produktpreis stecken, weil man Informationen über Produkte braucht, um entscheiden zu können, okay. Aber diese ganze Push-Werbeindustrie, weg damit, ersatzlos. Sorry. Bleiben wir beim Marketing: Kannst du dir im Zuge der Diversifikation (hui, was hat mich denn da geritten? -sn) einen Premium-Wein vorstellen? Lässt sich so etwas sinnvoll und wirtschaftlich tragbar im Mehrweg umsetzen? In hippen Bügelflaschen sogar? Uwe: Mit „hip“ kenne ich mich nicht aus, aber von Bügelflaschen würde ich eher abraten, die sind nämlich in der Herstellung teurer als man als Pfandwert am Markt durchbekommt. Wein in Mehrweg wäre ein interessantes Konzept, fände ich super, aber es gibt eventuell gute Gründe dafür, warum es das bisher nicht gibt. Oder doch nicht? Wenn jemand sowas gründen will, würde ich das kostenlos begleiten. Ob das wirtschaftlich tragfähig wird, hängt dabei von sehr vielen Faktoren ab, beileibe nicht nur vom Produkt. Es gibt so einen 14-Schritte-Plan zur Gründung, mit dem bisher 100 Prozent – also acht von acht – der damit begleiteten Gründungen überlebt haben, den müsste ich mal ganz in Ruhe aufschreiben, wenn ich mal die Zeit habe. [lacht] Wo steht Premium in fünf Jahren? In zehn? Wie weit planst du in die Zukunft? Wie weit kannst du die Entscheidungen des Kollektivs vorausahnen? Uwe: Vorausahnen geht nur bedingt, aber wir haben da einen Haufen an klugen Leuten, die mich das Projekt relativ weitreichend prägen lassen. Wenn es so weitergeht wie bisher, nur besser, dann werden wir in fünf und in zehn Jahren mit mehr Produkten dastehen, verteilt auf mehrere Firmen, um das Risiko zu streuen und individuelle Unterschiede möglich zu machen. Wir werden hoffentlich professioneller organisiert sein, effizienter, effektiver und etwas verbreiteter. Mit Glück hat dann auch schon das nächste Projekt Wirkung entfaltet, nämlich: ein zinsloses Crowdfunding, mit dem unsere Endkunden den Finanzbedarf der Lieferanten decken, damit die den Renditedruck von Investoren loswerden und wir letztlich auch günstiger anbieten können. Das wird ein großer Spaß. [lacht] Details hier: www.premiumcola.de/betriebssystem/wissenschaft. Du vertreibst also Cola, Bier, Limo (den Wein stellen wir hintenan) und Mitbestimmung. Auf der einen Seite physische Produkte, auf der anderen eine Idee. Funktioniert das auch im Dienstleistungssektor? Könnte ich als Texter, könnten Werbe- und PR-Agenturen, Ärzte und Designer auf ähnliche Modelle umsatteln? Wie denn? Uwe: Gute Frage. ich glaube, die Grundideen „mit allen Beteiligten reden“ und „im Konsens entscheiden“ lassen sich auf sehr viele Unternehmen und Branchen übertragen – und das ist schon eine Dienstleistung, ich habe ja selbst gar keine Produktion. Guck dir eventuell mal die Soziokratie an, die machen das in Firmen mit bis zu 50.000 Mitarbeitern in mehreren Branchen.
Wenn ich von einem Arzt operiert werde, möchte ich nicht, dass er währenddessen erstmal rumdiskutiert – aber danach will ich, dass ihm Fehler oder Verbesserungsvorschläge auch von dem OP-Putzmann eingebracht werden können, wenn das die Qualität seiner Arbeit verbessert.Oder das Systemische Konsensieren, das es in kleinen Kollektiven öfter gibt. Es gibt m. E. nicht die eine ideale Form der Entscheidungsfindung; was gut funktioniert, hängt immer von den Parametern und den Menschen und der Entwicklung des Ganzen ab. Es gibt auch Fälle bzw. Branchen, wo Konsens zum Beispiel nur zeitversetzt geht. Wenn ich von einem Arzt operiert werde, möchte ich nicht, dass er währenddessen erstmal rumdiskutiert – aber danach will ich, dass ihm Fehler oder Verbesserungsvorschläge auch von dem OP-Putzmann eingebracht werden können, wenn das die Qualität seiner Arbeit verbessert. Und da du nach Textern oder Agenturen fragst: Ein Konsens mit den Rezipienten wäre ein Anfang. also zu fragen: Welche Werbung ist aus eurer Sicht eigentlich ok und nicht-invasiv? Und nur die machen. Ich bin am Ende, hier kommt dein Joker. Du kannst eine Frage beantworten, die ich dir aus purer Ignoranz, Unwissen oder Desinteresse nicht gestellt habe. Uwe: Den Joker verwandle ich in eine Publikumsfrage, weil ich immer von allem und jedem lernen will: Hat jemand Lesetipps, wie freie Projekte aller Art es hinkriegen, die Beteiligten nicht nur bei allen Entscheidungen, sondern auch an allen, vor allem komplexen Arbeiten zu beteiligen? Da sind wir nämlich bisher nicht so gut drin, obwohl alle Arbeiten bezahlt werden. Oft wird für die einzelnen Dinge fast schon ein mundgerechter Leitfaden verlangt, sonst schwimmen viele Leute und wissen nicht, was sie tun sollen. Aber wenn du alles vor- und durchkaust, kannst du es auch gleich selber und meistens in der gleichen oder sogar weniger Zeit machen – aber das geht halt auch nicht, sonst bleibt die Arbeit auf wenige Menschen zentriert. In dem Punkt, also „mehr und bessere Verteilung von Arbeit“ haben wir Nachholbedarf, und da wäre ich für Lesetipps dankbar, hochverehrtes Publikum. Was noch fehlt: eine Danksagung. Dafür, dass ich hier meine Gedanken ausbreiten durfte, dass ihr das gelesen habt, und für deine Geduld. Danke. Die ursprüngliche Anfrage ist ja schon … wie lange her? Anderthalb Jahre, aber darüber sehen wir galant hinweg und erwähnen es nicht einmal. Danke, Uwe.
Frisch aufgebrüht aus handgemahlenen Bohnen, Pads, Kapseln oder aber der gute, alte Bröselkaffee zum Aufgießen: Es wird alles getrunken! Und wenn die Unterhaltung dann noch nett ist, brauchen wir auch keine Kekse.
Eigentlich hätte ich hier gerne ein Kontaktformular. Aber der Aufwand für die DSGVO und das ständige Löschen der Spamscherze sind mir zu blöd, genauso wie Captchas und doppelt und dreifache Opt-ins und -outs.
Also bitte einfach die üblichen Kontaktmöglichkeiten nutzen: hallo[at]nagelundkopf.de oder unter 0176 97661348 anrufen.
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über mich.
Strategietexter, Marketingreferent, Journalist, Autor. Papa. Geek. Läufer. Sänger. Bester Freund meines Hundes. Mag Trash-Filme, Gitarrenmusik, Bücher aus Papier und jede Form von Kaffee. Älter als AOL.
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Ernsthaft? Ist das noch Land oder schon Dorf? Es ist beides. Und Wald. Viel Wald. Und herrlich. Vor allem ist es noch im wunderschönen Ruhrpott, auch wenn sich die Leute hier manchmal ein wenig vertun mit dem Niederrhein. Hinfahren, angucken, auf ‘nen Kaffee reinschneien und fachsimpeln. Themen gibt es hier genug. Und wer mich woanders braucht: Ich bin in einer Stunde in Köln oder Düsseldorf, in dreieinhalb Stunden in Hamburg oder Frankfurt, in sechs Stunden in München oder Paris.